Werner-Ernst-Preis 2004 vergeben
1. Preis:
Dipl.-Ing. Susanne Bieker und Dipl.-Ing. Frank Othengrafen, beide Absolventen der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund und inzwischen Wissenschaftliche Mitarbeiter an der TU Darmstadt bzw. TU Hamburg-Harburg
2. Preis:
Dipl.-Ing. Sebastian Kaintoch, Bochum, derzeit in einem Architekturbüro in Essen tätig; Vorbereitung auf einen einjährigen Aufenthalt in Australien
3. Preis:
Je zur Hälfte an Katharina Koch, Studentin der Fakultät Raumplanung an der Universität Dortmund, und Carsten Tech, Student der Geographie an der Universität Hannover
Umbau von Städten und Regionen vor dem Hintergrund des demographischen Wandels: nicht nur ein ostdeutsches Problem
Der Förderpreis des Förderkreises für Raum- und Umweltforschung e.V. (FRU) wurde 2004 zum dreizehnten Mal ausgeschrieben. Seit dem vergangenen Jahr trägt er den Namen „Werner-Ernst-Preis“ und ehrt damit den 2002 verstorbenen Staatssekretär a.D. Professor Dr. jur. Dr. jur. h. c. Werner Ernst, der sich in der Exekutive (zuletzt als Staatssekretär), in der Judikative (als Bundesrichter) und in der Wissenschaft (als Hochschullehrer in Berlin und Münster sowie als Präsident – 1971 bis 1974 – und Ehrenpräsident der ARL) hohes Ansehen in Raumplanung und -forschung erworben hat.
Der Vorstand des FRU hatte mehrere aktuelle Fragestellungen geprüft und sich dann für dieses Thema entschieden, dessen Bedeutung auf der Hand liegt und durch einige darauf gerichtete Vorhaben der ARL unterstrichen wird. Zudem war an den „Endpunkt“ des Wettbewerbs gedacht worden, die Preisverleihung, die bei dieser Themenstellung vorzüglich in eine für Anfang 2005 geplante öffentliche Veranstaltung der 4R-Einrichtungen (ARL, IFL Leipzig, IÖR Dresden und IRS Erkner) integriert werden konnte.
In der Ausschreibung war der inhaltliche Hintergrund dieses Wettbewerbsthemas so beschrieben worden:
Die Entwicklung des Raumes unterliegt einer Vielzahl von Einflüssen. Raumbezogene Politik und Planung haben sich immer neu auf sich ändernde Gegebenheiten einzustellen und ihre Zielsetzungen und Instrumente anzupassen. Gegenwärtig ist es vor allem der demographische Wandel, der nach allgemeiner Einschätzung einen umfassenden Handlungsbedarf zur Folge hat: Langfristig ist ein Rückgang der Bevölkerung sowie deren kontinuierliche Alterung und fortschreitende Internationalisierung durch Migration sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Staaten festzustellen. Deutschland, insbesondere Ostdeutschland, ist hiervon in besonderem Maße betroffen.
> Dieser demographische Wandel wird sich räumlich sehr unterschiedlich auswirken.
Es wird Städte und Regionen geben, in denen sich die Veränderungen außerordentlich negativ bemerkbar machen, während andere im Wettbewerb um demographische Potentiale zu den Gewinnern zählen werden. Disparitätenprobleme sowie soziale Polarisation und Segregation werden auf allen räumlichen Ebenen an Bedeutung gewinnen, wobei die Zuwanderung diese Trends noch verstärken wird.
Gerade unter dem Aspekt einer nachhaltigen Raum- und Siedlungsentwicklung ergibt sich ein umfassender, regional unterschiedlicher Anpassungsbedarf der Siedlungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturen. Insbesondere die Tragfähigkeit dünn besiedelter, strukturschwacher, oftmals peripher gelegener ländlicher Räume ist gefährdet. Aber auch städtische Regionen sind mit starken Einwohnerrückgängen konfrontiert. Was in Ostdeutschland bereits Realität ist, droht auch anderen Städten und Regionen.
Der Wettbewerb forderte nun dazu auf, den demographischen Wandel und seine Auswirkungen zu erörtern und Vorschläge zu diskutieren, welche Folgerungen für die raumbezogene Politik und Planung gezogen werden könnten. Ausdrücklich war darauf hingewiesen worden, dass Beiträge aus den verschiedensten fachlichen Sichtweisen heraus erarbeitet werden konnten, allerdings auch eine fachübergreifende Betrachtung erwünscht sei.
Bis zum Abgabetermin 10. November lagen über zwanzig Wettbewerbsbeiträge vor, die der Jury zur Prüfung und Bewertung übergeben wurden. Mitglieder der Jury waren Professor Dr. Peter Sedlacek, Friedrich-Schiller-Universität Jena, der auch den Vorsitz inne hatte, Dr. Hans-Peter Gatzweiler, Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung in Bonn, sowie Dipl.-Ing. Michael Kiehl, Wiss. Angestellter an der Universität Dortmund.
Mitte Dezember legte die Jury ihr Beratungsergebnis vor, der FRU-Vorstand folgte der Empfehlung zur Preisvergabe. Vier Wettbewerbsarbeiten wurden mit Geldpreisen bedacht, weitere fünf Beiträge erhielten eine lobende Anerkennung, verbunden mit einem Buchpreis. Im Rahmen der 4R-Veranstaltung am 3. Februar 2005 in Berlin würdigte der Vorsitzende des Förderkreises, Prof. Dr.-Ing. Gerd Turowski, das Wettbewerbsergebnis und überreichte die Geldpreise.
Zwei Wettbewerbsarbeiten teilen sich den dritten Preis in Höhe von 1000 EUR; Preisträger sind Katharina Koch aus Dortmund und Carsten Tech aus Hannover.
Soziale Infrastruktur im Kontext städtischer Schrumpfung
Der Beitrag von Katharina Koch ist aus ihrer Diplomarbeit hervorgegangen und befasst sich am Beispiel Bremerhavens mit den Folgen der demographischen Veränderungen (starker Rückgang der jüngeren, starke Zunahme der älteren Bevölkerung) und den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Bereitstellung der entsprechenden sozialen Infrastrukturen (Kindergärten u. Altenpflegeheime). Für diese Aufgabe gibt es bislang kein allgemein gebräuchliches Vorgehen. Die Jury sah es als Verdienst von Katharina Koch, am gewählten Beispiel auf der Grundlage einrichtungsspezifischer Standortanforderungen und normativer siedlungsstruktureller Ordnungsvorstellungen eine rationale Entscheidungshilfe für unabdingbare Angebotsanpassungen erarbeitet zu haben. Die konzeptionelle Leistung der Autorin gipfelt in der Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur einrichtungsspezifischen Standortbewertung sowie eines Verfahrens zu Standortwahl von Kindergärten und Altenpflegeheimen.
Den Demographischen Wandel als Chance begreifen – Einrichtungen für ältere Menschen in Innenstadtnähe als Instrument zur Sicherung des Einzelhandels
Der Beitrag von Carsten Tech ist in Vorbereitung auf seine Diplomarbeit entstanden, die sich angebotsorientiert mit Wohnungen für ältere Menschen in der Region auseinander setzt. Der Autor untersucht die Frage, welche Chancen sich in Zukunft für die Einzelhandelsentwicklung in den Zentren von Kleinstädten durch die zunehmende Zahl älterer Menschen ergeben. Mit seiner empirischen Arbeit am Beispiel der Stadt Wunstorf kann Tech diese Frage bejahen. Ältere Menschen können in der Tat Einzelhandelskaufkraft in den Innenstädten binden und zur ihrer Attraktivität beitragen, vorausgesetzt, es gelingt, Alteneinrichtungen auch in erreichbarer Nähe zu erhalten bzw. zu schaffen. In dieser Arbeit seien neue Ideen und Ansätze für die Stadtplanung und die Standortplanung von Altenheimen/-wohnungen enthalten, die nach Einschätzung der Jury Anerkennung verdienen.
Shrinking Cities – Chancen für Bottrop-Ebel
Der zweite Preis, dotiert mit 1500 EUR, wurde an Sebastian Kaintoch aus Bochum vergeben. Auch dieser Beitrag basiert auf einer Diplomarbeit, die Kaintoch zum Thema „Shrinking Cities“ als Architekturstudent an der Fachhochschule Bochum erstellt hat.
Sein Wettbewerbsbeitrag befasst sich mit dem aktuell diskutierten Thema der „Schrumpfenden Städte“ und entwickelt am Beispiel eines Stadtteils zukunftsfähige Perspektiven und Lösungsansätze. Im ersten Teil seiner Arbeit zeigt er die zu erwartende demographische Entwicklung des Ruhrgebiets auf. Er beschränkt sich dabei nicht auf die Auswertung und Darstellung bekannter Statistiken, sondern thematisiert auch die Stärken und Schwächen, die Chancen und Risiken des Ruhrgebiets im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel und verweist auf das Erfordernis einer stärkeren Kooperation der Gebietskörperschaften. Der Kern der Leistung von Sebastian Kaintoch liegt jedoch in der planerischen bzw. städtebaulichen Entwurfsarbeit, die durch ihre innovative und visionäre Gestaltungskraft besticht. Anhand von Beispielen („Akupunkturprojekte“) werden Ansätze zur Attraktivierung eines Stadtteils dargestellt, die sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich ihrer sorgfältigen Ausgestaltung überzeugen. Ausgangspunkt dieser Projekte ist das Vorhaben „Emscher Landschaftspark 2010“, d.h. der Ausbau eines Parks, der bestehende regionale Grünzüge zu einem zusammenhängenden Parksystem vernetzt und dabei die Stadt-, Wirtschafts- und Umweltentwicklung integriert. Ebenso wie Carsten Tech will auch Kaintoch Schrumpfung als Chance für mehr Lebensqualität begriffen wissen. Die originellen und kreativen Ideen für neue Gestaltungsmöglichkeiten, die durch Schrumpfung überhaupt erst realisiert werden, können durchaus dazu beitragen, einen Mentalitätswandel in der Diskussion um Shrinking Cities herbeizuführen.
Organising Capacity. Strategische Ansätze für eine verbesserte Steuerungs- und Handlungsfähigkeit für Regionen im demographischen Wandel
Der erste Preis in Höhe von 2000 EUR entfiel auf das Autorenduo Susanne Bieker und Frank Othengrafen. Bei dieser Wettbewerbsarbeit handelt es sich um die Weiterentwicklung eines Ansatzes einer Regional Governance, die im Rahmen des Forschungsprojektes „STADT+UM+LAND 2030 – Region Braunschweig“ von den Autoren dieses Beitrages – in Zusammenarbeit mit den Professoren Sinning und Knieling – erarbeitet wurde.
Ausgangspunkt im Wettbewerbsbeitrag ist natürlich auch wieder der demographische Wandel. Regional Governance wird daraufhin untersucht, ob aus diesem analytischen Steuerungsinstrument Ansätze zur Verbesserung der kollektiven Handlungsfähigkeit abzuleiten sind. Die Jury hebt in ihrer Würdigung hervor, dass sich der Wettbewerbsbeitrag, ausgehend von Verteilungskonflikten, die durch Schrumpfungsprozesse ausgelöst werden, sehr kenntnisreich und auf einer breiten Kenntnis der Fachliteratur mit dem Governance-Ansatz auseinander setzt und die Frage beantwortet, wie die Voraussetzungen für eine kooperative Regionalentwicklung im demographischen Wandel geschaffen werden können. Gelobt wird der innovative Ansatz des Beitrages, Regional Governance als neues Steuerungsinstrument speziell im Hinblick auf die Herausforderungen des demographischen Wandels weiterzuentwickeln. Der Beitrag überzeugt im Urteil der Gutachter insgesamt durch fundierte Sachkenntnis und die sehr gut nachvollziehbare und konzise Argumentation.
Nach der Laudatio und Preisübergabe hatte Susanne Bieker Gelegenheit, in komprimierter Form die Hauptgedanken der gemeinsamen Arbeit vorzutragen. Ganz augenscheinlich gelang ihr dies trotz harten Zeitlimits in eindrucksvoller Weise, sah sich doch der nach der Preisverleihung vortragende Gastredner Professor Dr. Biedenkopf aus Dresden veranlasst, spontan in seinen Ausführungen auf die seiner jungen Vorrednerin einzugehen und die Sichtweise der beiden Autoren zu loben.
Wie in den Vorjahren ist vorgesehen, die mit Geldpreisen bedachten Arbeiten in der Fachzeitschrift „Raumforschung und Raumordnung“ zu veröffentlichen.
Klaus Becker