Werner-Ernst-Preis 2010 (19. FRU-Förderpreis-Wettbewerb)
Hat Stadt Zukunft? – Stadt der Zukunft!
Werner-Ernst-Preis 2010 verliehen
Die Beschäftigung mit der Stadt als komplexem sozialem, politischem, kulturellem und physischem Raum, mit ihrer Entwicklung und ihren Phänomenen hat nicht nur in der raumwissenschaftlichen Forschung eine lange Tradition. Mit dem Begriff „Stadt“ sind ganz verschiedene Merkmale verbunden, die die urbane Vielfalt widerspiegeln: beispielsweise städtische Lebensformen und -stile, urbane soziale Milieus, bauliche Verdichtung, hoher Wohnflächenverbrauch, kulturelle Vielfalt, wirtschaftliche Dynamik, sozialräumliche Differenzierung oder zunehmendes Verkehrsaufkommen.
Vor allem in Zeiten des Wachstums haben sich die Städte enorm verändert. Oft haben sie ihr ursprüngliches Maß und ihr charakteristisches Gesicht verloren. Neue verstädterte Landschaften haben sich außerhalb der Städte gebildet. Demographische Schrumpfungs- und Alterungstendenzen sowie Prozesse der Internationalisierung fordern die Städte derzeit heraus.
Neben den räumlichen Konsequenzen des demographischen Wandels, der Globalisierung sowie der finanziellen und ökonomischen Krisen sind es vor allem auch die Probleme im Zusammenhang mit dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel, mit der Neuausrichtung der Energiepolitik sowie mit Verlusten der Biodiversität, die (nicht nur) den Städten zu schaffen machen.
Die Stadt ist nach wie vor ein Forschungsgegenstand, der im Mittelpunkt des planerischen Interesses steht und bei dem innovative Ansätze zur Lösung der vielfältigen Probleme erforderlich sind. Grund genug für den Förderkreis für Raum- und Umweltforschung (FRU), den Werner-Ernst-Preis 2010 dem Thema „Hat Stadt Zukunft? – Stadt der Zukunft!“ zu widmen. Der Wettbewerb richtete sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ebenso wie an Personen, die sich in ihrer beruflichen Praxis in Verwaltung oder Planungsbüros mit der Stadt, ihrer Entwicklung und ihren Phänomenen beschäftigen. Er war offen für alle raumrelevanten Disziplinen. Inhaltlich umfasste der Wettbewerb das gesamte Spektrum des Themas „Stadt“. Dabei waren unter anderem auch persönliche Einschätzungen, eigene Ideen und Vorschläge gefragt.
Nach der Abgabe im November 2010 wurden die Wettbewerbsbeiträge an die Jury zur Prüfung und Bewertung übergeben. Mitglieder der Jury waren Prof. Dr. Sabine Baumgart, Technische Universität Dortmund, Dr. Wolfgang Jung, Karlsruher Institut für Technologie, und Prof. Dr. Heidi Sinning, Fachhochschule Erfurt. Die Jury empfahl dem Vorstand des FRU, einen ersten und zwei zweite Preise zu vergeben. Der Vereinsvorstand folgte dieser Empfehlung.
1. Preis
Volker Kreuzer und Tobias Scholz, beide Dortmund, für ihren Beitrag „Altersgerechte Stadtentwicklung. Eine aufgaben- und akteursbezogene Untersuchung am Beispiel Bielefeld“
2. Preis
Nils Grube aus Berlin für seinen Beitrag „[zwischen] hoffen & räumen. Kulturelle Zwischennutzungen und Standortvitalisierung am Beispiel des Frappant-Forum-Gebäudeensembles in Hamburg-Altona“
2. Preis
Elena Wiezorek aus Dresden für ihren Beitrag „Kollektives Handeln in der Stadtentwicklung – Eigentümerstandortgemeinschaften als Urban Governance in Zeiten des Wandels?“
Die Arbeit „Altersgerechte Stadtentwicklung. Eine aufgaben- und akteursbezogene Untersuchung am Beispiel Bielefeld“ von Volker Kreuzer und Tobias Scholz stellt eine Auseinandersetzung mit den Aufgaben einer altersgerechten Stadtentwicklung dar, die über die vier Handlungsfelder „Wohnen“, „Unterstützung und soziale Integration“, „Öffentlicher Raum und Mobilität“ sowie „Nahversorgung“ operationalisiert wird. Basis hierfür sind insbesondere Erkenntnisse aus der ökologischen Gerontologie über die Wechselwirkungen zwischen der baulichen und sozialen Umwelt mit dem Leben älterer Personen. Des Weiteren liegen Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Altersforschung zu den Charakteristika und den Lebenslagen der ausdifferenzierten Lebensphase „Alter“ zugrunde sowie Studien und Modellvorhaben, die sich mit den Ansprüchen und Anforderungen älterer Menschen an die Stadtentwicklung auseinandergesetzt haben. Kern des Beitrags ist die empirische Untersuchung von Aktivitäten älterer Menschen in Bielefeld mithilfe eines offenen und qualitativen Forschungsansatzes. Der Schwerpunkt der Fallstudie in Bielefeld liegt auf den Handlungsfeldern „Wohnen“ sowie „Unterstützung und soziale Integration“, in denen ausgewählte Akteure und ihre Aktivitäten vertiefend betrachtet werden. Die zentralen Ergebnisse der Fallstudie werden gegliedert nach den Akteursgruppen Kommune, Wohnungswirtschaft und soziale Dienstleister aufbereitet. Als generelles Ergebnis ist festzuhalten, dass viele private und öffentliche Akteure auf eine altersgerechte Stadtentwicklung Einfluss nehmen. Dabei sind sie zwar von gesetzlichen Vorgaben und prägenden Trends – etwa auf dem Wohnungs- oder Pflegemarkt – abhängig, aber es bieten sich in den Handlungsfeldern einer altersgerechten Stadtentwicklung auch erhebliche Spielräume. Handlungsorientierungen, Handlungsressourcen, interne Strukturmerkmale und die für einen Akteur tätigen Einzelpersonen lassen sich als relevante akteursspezifische Einflussfaktoren benennen.
Nils Grube stellt in seinem Beitrag „[zwischen] hoffen & räumen. Kulturelle Zwischennutzungen und Standortvitalisierung am Beispiel des Frappant-Forum-Gebäudeensembles in Hamburg-Altona“ die Frage, inwiefern kulturelle Nutzungsformen generell zu einer wirtschaftlichen Belebung von Orten beitragen können. Als Beispiel dient das ehemalige Kaufhausgebäude Frappant in Hamburg-Altona. Grube geht von der Annahme aus, dass sich kulturelle Zwischennutzungen in der Konstitution von speziellen Räumen äußern, deren inhaltliche Qualitäten bestimmte Wirkungsmechanismen erzeugen, über die ein Wandel des Ortes erfolgt. Diese Räume sind durch die Denk- und Handlungsweise der Akteure entscheidend geprägt. Die dadurch erzeugte Vitalisierung der Orte – so Grube – kann sich gegenüber einer übergeordneten Entwicklungsstrategie als kooperativ, aber auch als kritisch erweisen. Zur Überprüfung der These führte er verschiedene Experteninterviews. Ziel der Arbeit ist es, über die unterschiedliche Wahrnehmung der Vitalisierungswirkung Hinweise auf die Problematik des Entwicklungsansatzes der ökonomischen Vitalisierung zu erhalten.
Welche Chancen bestehen – aufgrund komplexer Problemlagen aus demographischem, wirtschaftlichem sowie gesamtgesellschaftlichem Strukturwandel in den Städten –, vermehrt privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Kräfte in Fragen der Stadtentwicklung einzubinden? Dieser Frage ging Elena Wiezorek am Beispiel der sogenannten Eigentümerstandortgemeinschaften in ihrem Beitrag „Kollektives Handeln in der Stadtentwicklung – Eigentümerstandortgemeinschaften als Urban Governance in Zeiten des Wandels?“ nach. Mit diesem neuen Instrument verbindet sich die Erwartungshaltung, dass erforderliche Anpassungsprozesse in städtischen Quartieren in der Gemeinschaft bewältigt werden. Dazu gehören beispielsweise der nachfragegerechte Umbau von Wohnungen, die Aufwertung des öffentlichen Raumes oder auch die positive Imagebildung. Konkret fragt Wiezorek danach, welche Faktoren die Entstehung von Eigentümerstandortgemeinschaften bestimmen und wie deren institutionelle Struktur charakterisiert wird. Dies bearbeitet sie anhand von drei Fallstudien in Dortmund, Essen und Görlitz. Dazu führte sie eine explorative Studie zu den Motiven und Handlungsstrategien der beteiligten Akteure durch. Drei quartiersbezogene Handlungsstrategien der Immobilieneigentümer ließen sich identifizieren: „Abwarten“, „Alleingang“ oder „Kooperation“. Mit der letzten Strategie verbindet sich die Integration eines Eigentümers in eine Standortgemeinschaft, wobei dies in unterschiedlicher Intensität stattfinden kann. Als Fazit formuliert Wiezorek die zentralen Faktoren zur Entstehung von Eigentümerstandortgemeinschaften: unvollständige Informationen über die aktuellen und zukünftigen Bewirtschaftungsstrategien benachbarter Immobilieneigentümer, die Abhängigkeit des eigenen wirtschaftlichen Erfolgs von der Bewirtschaftung des benachbarten Immobilieneigentümers sowie ein Mindestmaß an ähnlichen Interessen und Normen der Beteiligten in Bezug auf die Bewirtschaftung der Immobilien an einem Standort.